Halleluja – das Krimi-Baby ist da! Interview mit Hans Peter Roentgen

Zahlreiche Autor*innen kennen Hans Peter Roentgen als Coach, der ihre Texte auf Konstruktion, Plot,
Spannung, Sprache durchleuchtet. Vielen Schreibenden – von Anfänger*innen bis zu Profis – hat
er den Weg zu einem guten Text geebnet, wichtige Hinweise zu ihrer Weiterentwicklung als Autor*innen
und zu den Spielregeln des Buchmarkts gegeben.
Ich treffe Hans Peter Roentgen im Galerie-Café Matschke in Potsdam, einem Lokal, das Berliner und Potsdamer Autor*innen schon oft als Lesebühne gedient hat.

Hans Peter, du bist Diplom-Informatiker und hast zunächst Fachbücher verfasst. Wie kam es zu deiner Leidenschaft für die Arbeit an Texten und mit Autoren?


Während mehrerer USA-Aufenthalte Anfang der Neunziger habe ich neben Fahrrad-Fahren und der
Freude an grandiosen Landschaften auch Kontakte zum Creative-Writing geknüpft und dort gelernt, dass
man an Texten arbeiten kann, dass Autoren nicht als geniale Erzähler auf die Welt kommen, sondern sich
entwickeln. Ich war davon so inspiriert, dass ich das auch unbedingt hier einführen wollte. Das ist dir angesichts zahlreicher Veröffentlichungen und Workshops zum Thema Schreiben auch hervorragend gelungen.


Hans Peter Roentgen hat mehrere Schreibratgeber verfasst, die heute Standardwerke sind (Vier Seiten für ein Halleluja, Drei Seiten für ein Exposé, Spannung, der Unterleib der Literatur). Er hat zahlreiche Bücher rezensiert, Autor*innen interviewt, führt einen Blog über das Schreiben und verfasst eine monatliche Kolumne mit Beispiel-Lektoraten im Autor*innen-Newsletter Tempest.

Welchen Rat möchtest du Autor*innen für die Arbeit am Text vor allem geben?

Erstmal losschreiben. Dann Kritik aushalten, bereit sein, den Text zu überarbeiten, was auch das Streichen von lieb gewonnenen Passagen beinhaltet. Ich zitiere gerne den Schriftsteller Antoine de Saint-Exupéry: ‚Ein Text ist nicht dann vollkommen, wenn man nichts mehr hinzufügen kann, sondern dann, wenn man
nichts mehr weglassen kann.‘

Was macht für dich einen gelungenen Krimi aus?


Ich habe kein bevorzugtes Genre. Egal ob Thriller oder Whodunit, der Plot muss funktionieren, die Geschichte muss gut erzählt, die Personen müssen stimmig beschrieben sein und entsprechend ihrem Charakter handeln. Der Autor darf nicht seine Geschichte kommentieren und der Figur etwas vorschreiben, anstatt in sie hineinzugehen. Eine gute Geschichte lässt dem Leser Raum, sie zu füllen, entführt ihn in neue Perspektiven und Welten.


Du hast ein Buch ‚Spannung – der Unterleib der Literatur‘ geschrieben. Was macht einen Text spannend?


Faszinierende Figuren, die die Handlung vorantreiben. Eine Story, die für den Leser interessante Fragen aufwirft, ohne dass eindeutig klar ist, wie‘s weitergeht. Wer die Handlung unterbricht, um detailliert den Hintergrund der Geschichte zu erläutern, verliert die Spannung und damit die Leser. Die Delete-Taste ist der beste Freund eines Autors. Viel Blut macht für sich gesehen einen Text nicht spannend. „Stichwort
Schlachteplatte“, er schmunzelt.


Wie macht man Figuren für die Leser*innen interessant?


Die Personen sollen den Leser faszinieren, er muss mit ihnen mitfühlen können. Sie müssen nicht unbedingt sympathisch sein. „Viele Autoren lieben ihre Figuren und wollen alles Böse von ihnen fernhalten“, er lacht. „Aber Geschichten leben nicht davon, dass alle lieb und nett zueinander sind.“
Oft wird auch zu wenig Arbeit investiert. Ein Autor muss sehr viel über seine Figuren wissen: was treibt sie an, was ist ihnen wichtig und was nicht. Der Leser merkt schnell, wenn die Figuren im Text nicht leben. Auch sollten sie nicht isoliert erklärt, sondern immer mit einer Handlung verbunden werden. Hilfreich sind auch Pitchs, die die Figur charakterisieren. Beispiel: „Angela Merkel, die Teflon-Kanzlerin – sie lässt
alles an sich abgleiten.“


Wie gestaltet man lebendige Dialoge?


Konflikt, Konflikt, Konflikt! Die Figuren müssen unterschiedliche Ziele verfolgen. Die Dialoge sollten keine komplexen grammatikalischen Konstrukte verwenden. Schlecht auch, wenn sich die Figuren darüber unterhalten, was beide längst wissen.


Die häufigsten Fehler, die Autor*innen unterlaufen?


Da bin ich wieder bei den Figuren. Wenn dem Leser die Personen egal sind, wenn er mit ihnen nicht mitfühlt, dann ist ihm auch die Geschichte egal. Der häufigste Fehler ist der fehlende Konflikt oder ein Konflikt, den der Autor nicht genügend nutzt. Aber ohne Konflikt gibt es keine Spannung.
Ebenfalls ein häufiger Fehler: Der Info-Dump. Die Leser werden mit Informationen zu den Hintergründen der Geschichte überschüttet. Aber sie wollen wissen, wie‘s weitergeht, und sie wollen die Geschichte durch die Handlung erfahren, nicht durch langatmige Erläuterungen. Eine Geschichte lebt von offenen Fragen. Schlecht auch, wenn der Autor die Geschichte gleich selbst interpretiert und dem Leser vorschreiben will, wie er zu empfinden hat. Vorsicht auch bei Rückblenden, sie lähmen den Fortgang der Handlung.


Welche Eigenschaften sollte ein Autor/eine Autorin unbedingt haben?


Spaß am Schreiben, Geduld, Fleiß, Disziplin, Kritikfähigkeit, den Willen, etwas zu Ende zu bringen. Auch Schreiben muss sich entwickeln, niemand wird über Nacht zum Bestsellerautor. Viele Autoren brauchen etliche Jahre, bis sie zum Verlagsvertrag kommen. Ich freue mich immer besonders, wenn mir ehemalige
Teilnehmer von ihrem Erfolg berichten. Übung und Technik gehören dazu und entwickeln sich über viele Jahre. Wie bei Klavierspielern, Fußballern und Malern eben auch.


Der engagierte Wirt des Galerie-Cafés bringt unsere Getränke. Für jede Lesung in seinen Räumen bastelt er ein Plakat und bemüht sich, die Veranstaltung im Potsdamer Stadtmagazin ‚Events‘ zu platzieren.


Viele Autor*innen nutzen nach Absagen von Verlagen oder von vornherein die Möglichkeit, ihr Buch selbst zu veröffentlichen. Was hältst du vom E-Book-Markt?


Dieser Markt bietet insbesondere auch Jungautoren die Möglichkeit, Erfahrungen zu sammeln, Manuskripte zu veröffentlichen, die Nischen bedienen oder als Formate im Print schwer verkäuflich sind. Man wird zwar nicht über Nacht zum Spiegel-Bestseller-Autor, aber man lernt das Drumherum des Buchmarkts kennen vom Cover über den Klappentext bis hin zum Umgang mit Kritik.


Wie wichtig sind die sozialen Netzwerke für Autor*innen und für den Buchverkauf?


Das hängt stark vom einzelnen Projekt und dem einzelnen Autor ab. Ein introvertierter Mensch wird mit Selfpublishing und dem Bedienen sozialer Netzwerke Probleme haben. User merken sehr schnell, wenn der Autor lediglich eine Pflichtübung absolviert. Ein extrovertierter Mensch, der bereits in seinem Umfeld
bekannt ist und viele potentielle Leser hat, kann damit Erfolg haben.


Welcher Krimi (von einer Frau geschrieben) hat dir in letzter Zeit am besten gefallen?


Mir fallen gleich vier Krimis ein, die mich fasziniert haben:
Zoe Beck, Paradise City, 2020
Patricia Holland Moritz, Der Menschenleser, 2019
Simone Buchholz, Blaue Nacht, 2017
Elisabeth Herrmann, Der Schneegänger, 2015


Vielen Dank, Hans-Peter, für deine Antworten. Ich wünsche dir weiterhin Engagement und Freude bei der Arbeit mit Autor*innen und viele Erfolgs-Rückmeldungen.

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