von Susanne Rüster
USA versus Deutschland
„Der Angeklagte kam also mit blutiger Kleidung aus dem Haus, nachdem er seine Frau ermordet hatte?“ Staatsanwältin beschwörend zum Zeugen.
„Einspruch, Euer Ehren!“ Verteidiger springt auf. „Ein Mord ist nicht bewiesen.“
„Stattgegeben.“ Richter lässt Hammer auf Tisch krachen.
„Sie haben nach dem … äh …tödlichen Vorfall … den Mann da …“, Staatsanwältin zeigt auf Angeklagten, der im verglasten Bereich sitzt, neben ihm zwei bullige, schwer bewaffnete Polizisten, „blutbefleckt aus dem Haus kommen …“
„Einspruch!“ Verteidiger. „Wiederholung. Beeinflussung des Zeugen.“
„Abgelehnt!“ Hammer knallt.
Staatsanwältin stützt Fäuste in die Hüften. Zeuge senkt eingeschüchtert den Kopf, sagt leise: „Ja.“
„Der Zeuge der Anklage sieht schlecht.“ Anwalt wedelt mit Optiker-Rechnung. „Wer weiß, ob er seine Brille aufhatte.“
„Einspruch! Pure Behauptung.“
„Stattgegeben.“
Anwalt zieht sich grollend zurück. Staatsanwältin stolziert auf und ab, Angriffslust im Auge. Sie will, dass die Jury den Angeklagten schuldig spricht.
Angeklagte in orangefarbener Häftlingsuniform, emotional plädierende Anwälte, weise Richter, weinende Angehörige und darüber die Sterne der amerikanischen Flagge. Diese Szenen sind aus amerikanischen Filmen und Romanen geläufig 1).
Alles anders in Deutschland?
Staatsanwältin (Sta’in 2)) Wilhelmine Klemm (Mechthild Großmann) aus dem Münsteraner Tatort mischt sich durchsetzungsstark mit rauchiger Stimme in die Ermittlungen ein. Die Sta’in aus Saarbrücken, Nicole Dubois (Sandra Steinbach), setzt im Drogenverfahren selbst einen V-Mann ein und gibt Befehl, Schüsse auf ein Rocker-Clubhaus abzugeben. Ihre Hamburger Kollegin Hanna Lennerts (Edita Malovcic) liebt Kommissar Nick Tschiller (Til Schweiger) und bringt sich bei der Jagd auf einen gefährlichen Clan selbst in tödliche Gefahr. Drei tolle Frauen, die den Realitäts-Check nicht bestehen.
Was macht sie denn nun, die deutsche Sta‘in? Hanna Kraefft, nenne ich sie, 35 Jahre alt, seit 7 Jahren im Amt. Sie hat wie Richter oder Richterin zwei juristische Staatsexamen, wird genauso bezahlt. Sie liebt ihren Beruf, denn es geht um Gerechtigkeit im Sinn der Strafgesetze, um Sühne des Verbrechens und Genugtuung für das Opfer. Nur hat sie kaum Zeit, an dieses hehre Ziel zu denken.
Sta’in Hanna Kraefft bei Mord & Totschlag
Hanna Kraefft hat einige Jahre im Dezernat für allgemeine Kriminalität Autodiebstahl, Wohnungseinbruch, Betrug, Urkundenfälschung, Kneipenschlägerei verfolgt und hatte Hunderte kleinere Verbrechen auf dem Tisch. Dann ist sie in die Spezialabteilung für Kapitaldelikte gewechselt. Bringt zwar nicht mehr Gehalt, aber mehr Prestige.
Hanna hat im Turnus Rufbereitschaft. Die Polizei benachrichtigt sie beim Fund einer Leiche mit unklarer Todesursache 3). Ob Hanna nachts aufsteht und an unwirtliche Orte fährt, um die Leichenschau 4) vorzunehmen, ist ihre Sache. Hanna ist zwar die Herrin des Ermittlungsverfahren 5), aber in Kriminalistik nicht ausgebildet. Manchmal hält Hanna sich für eine Papiertigerin. Sie hat keine Dienstwaffe, kann keine Fingerabdrücke abnehmen, keine Spuren auswerten, es sei denn, sie hat bei der Polizei hospitiert, sie hat keinen Einblick in die Verbrecher- und Fahndungsdateien, kann keine Einsätze organisieren. Am Tatort macht die Polizei die Arbeit auch ohne sie (in der Reihenfolge: Lagedienst/Zentrale, Schutzpolizei, Arzt*Ärztin, Spurensicherung, Kommissar*in). Ein*e Rechtsmediziner*in taucht am Tatort/Auffindungsort nur im fiktionalen Krimi auf. Konfrontiert mit ‚ihrer‘ Leiche wird Hanna zunächst oft nur auf dem Papier, wenn sie deren Sicherstellung und die Leichenöffnung durch den Rechtsmediziner anordnet 6). Bei der Obduktion kann sie dabei sein, muss aber nicht. Meist hat sie zu viel Aktenarbeit (Beschuldigte in U-Haft, die anzuklagen sind). Und mehr als für die Leiche interessiert sich Sta‘in Kraefft dafür, den Täter oder die Täterin vor Gericht zu bringen.
Die objektivste Behörde der Welt
Diesen schönen Ruf darf Hanna als Mitglied der deutschen Staatsanwaltschaft für sich beanspruchen. Sie ermittelt objektiv und in beide Richtungen, also auch für den oder die Beschuldigte*n, und sucht belastende und entlastende Beweise. Sie kann ein Ermittlungsverfahren einstellen (‚niederschlagen‘), etwa weil die Beweise nicht ausreichen, und kann im Strafprozess auf Freispruch plädieren. Das kann ihre amerikanische Kollegin nicht. Als District Attorney – eine vom Volk gewählte Vertreterin des Staates – ermittelt sie bei Verstößen gegen die Strafgesetze ihres County, bei Schwerverbrechen unterstützt von angegliederten Ermittlungseinheiten (County Detectives). Und dabei ist sie einseitige Anklagepartei und Gegnerin des Täters, der Täter*in und deren Verteidigung.
Die meisten Tötungsdelikte sind Beziehungstaten
Die Aufklärung von Tötungsdelikten gehört – anders als Wirtschaftsdelikte oder Verbrechen der organisierten Kriminalität – zum Leichtesten, aber auch zum Prestigeträchtigsten in der Strafverfolgung. Etwa 90 % aller Tötungsdelikte werden innerhalb weniger Tage aufgeklärt, weil die Täter*innen meist im Umfeld der Opfer zu finden sind (Familienangehörige, Freund*innen, Geschäftspartner*innen). Pathologische Serienmörder*innen kommen äußerst selten vor (ca. 1 % der Tötungsdelikte), auch wenn sie in Psycho-Thrillern viel Raum einnehmen 7).
Sta’in Kraefft bemerkt schnell, dass die Verfolgung von Kapitaldelikten nicht so spektakulär abläuft wie im Krimi. Bei Verfolgung von Täter*innenn, bei Auffinden einer Leiche mit unklarer Todesursache ist die Polizei am Ball. Sie hat mehr Personal, ist geschult in Widerstands- und Kampfsituationen, hat eine umfangreiche technische Ausstattung, zugeordnete Helfer*innen (Profiler*innen, Psycholog*innen, Techniker*innen, IT-Mitarbeiter*innen) und verfügt über Täter*innen-Dateien und Spurensammlungen (DNA). Sta’in Kraefft bleibt am Schreibtisch und oft meldet sich die Kripo bei ihr nur, wenn Anträge beim Ermittlungsrichter, bei der Ermittlungsrichterin 8) zu stellen sind (z.B. Durchsuchung der Wohnung des verdächtigen Killers, der Killerin, Beschlagnahme von Waffen, Beantragung eines Haftbefehls). Bei Gefahr im Verzug9) (z.B. DNA schnell sichern, Täter*innenwohnung durchsuchen, Verdächtige*n vorläufig festnehmen) trifft die Kripo selbst die Anordnung und bittet die Sta’in erst hinterher, diese Anordnung durch die Ermittlungsrichter*in bestätigen zu lassen.
Der Mörder, die Mörderin wird gejagt
Sta’in Kraefft hat jetzt einen rätselhaften Mordfall (der zu den erwähnten 1 % der Tötungsdelikte gehört): Vergewaltigte und ermordete junge Frauen werden an einsamen Orten gefunden. In einem derartigen Ausnahmefall lässt sich Hanna Kraefft öfter von der Kripo über den Ermittlungsstand unterrichten. Sie sucht aber nicht ‚ihre‘ Ermittlungsbeamt*in in der Mordkommission auf, und jagt nicht dem Täter, der Täterin hinterher (weder mit der Polizei und schon gar nicht allein). Der Bericht der Kripo kommt schriftlich und über den Dienstweg (beider Polizei: Kommissariatsleiter*in, evtl. Direktionsleiter*in und Polizeipräsident*in, bei der Staatsanwaltschaft: Abteilungsleiter*in, evtl. Hauptabteilungsleiter*in und Behördenleiter*in). Die Vorgesetzten entscheiden, ob und welche Details über die Pressestelle an die Öffentlichkeit gegeben werden können, ohne den Ermittlungserfolg zu gefährden. Kann der Täter, die Täterin trotz aufwendiger Forensik nicht gefunden werden (Cold Case), wird der Fall abgelegt, aber nicht endgültig. Mord verjährt nicht 10).
Serienmörder*innen erschüttern die Öffentlichkeit besonders. Zur Illustration nehme ich den Fall des Ted Bundy, der in den 70igern in den USA fast dreißig junge Frauen getötet hat. Ein sympathisch aussehender, intelligenter Student mit einer besonderen Masche.
Bei schwer ermittelbaren Morden wird die Fallanalytiker*in (Profiler*in) der Polizei tätig. Wie geht er oder sie vor? Ausgangspunkt: Die Opfer von Ted Bundy hatten alle dunkles, in der Mitte gescheiteltes Haar 11). Die Kripo findet einen Zeugen, der eine junge Frau (mit dunklem Haar und Scheitel) beobachtet hat, die einem Mann mit Arm in der Schlinge beim Einladen seiner Einkäufe half, zu ihm ins Auto stieg und seitdem vermisst war, bis man ihre Leiche fand. Die Profiler*in schließt auf eine Masche des Täters: Hilfebedürftigkeit vortäuschen. Gleichzeitig setzen sich weitere Polizei-Helfer*innen (Psycholog*innen, Kriminolog*innen, Soziolog*innen) mit Tätermotiv und Begehungsweise auseinander. Sie gleichen das Muster (junger freundlicher Mann mit Arm in der Schlinge) anhand der Polizei-Statistik mit bekannten Fällen und mit spezifischen, durch zahlreiche Verbrechensanalysen ermittelten Merkmalen ab. Leider hinterlassen Profis nicht immer Spuren. Selbst wenn die Spurensuche ein Profil findet, nützt es erst, wenn die DNA des Killers oder der Killerin bereits gesichert ist. Können die Forensiker*innen das Umfeld der Morde z.B. auf den regionalen Raum und auf jüngere Männer bis dreißig einschränken, werden diese zur Abgabe von Material für DNA-Analyse und Daktyloskopie (Fingerabdrücke) aufgefordert. Im Fall Ted Bundy steckten diese forensischen Methoden noch in den Kinderschuhen. Überführt wurde er schließlich über eine Zahnanalyse anhand eines Bissabdrucks auf dem Po eines Opfers.
Der Mörder, die Mörderin wird gefasst
Die Kripo hat aus Tatortspuren (Blut, Fingerabdrücke, Schleimhautabrieb etc.) molekulargenetische Untersuchungen vorgenommen, das DNA-Identifizierungsmuster, die Abstammung und das Geschlecht des Täters, der Täterin bestimmt, ferner Schuhabdrücke, Hautpartikel, Waffe, Leichenspuren ausgewertet und die Tötungsmodalitäten abgeglichen mit früheren Mordfällen. Erfolg: Die Kripo ist einem Menschen auf die Spur gekommen, der vermutlich ein pathologischer Serienkiller ist. Jetzt muss dieser Mensch ‚nur noch‘ gefasst werden. Man sieht ihm seine Schlechtheit nicht an. Männliche Serienkiller sind oft intelligente, gutaussehende Typen (s. Ted Bundy) und vielfach nicht geisteskrank. Sie haben eine bestimmte Masche, ihre Opfer an einen einsamen Ort zu locken, zu vergewaltigen, zu quälen, umzubringen. Sie wissen, was sie tun, und dass es höchst verwerflich ist.
Der verdächtige Killer, die Killerin ist von einer Hand in Hand arbeitenden Soko (von der Einsatzzentrale bis zu den Verfolger*innen vor Ort, u.U. unter Heranziehung des SEK) gestellt worden. Die Überwältigung eines gefährlichen Täters oder Täterin findet immer im Team statt, niemals im Alleingang. Ein Profi begibt sich nicht in Gefahr, Eigensicherung geht vor Festnahme. Die Wirklichkeit unterscheidet sich stark vom üblichen Täter*innen-Verfolger*innen-Showdown im fiktionalen Krimi.
Ist der*die Verdächtige vorläufig festgenommen (nicht verhaftet), stellt die Polizei seine*ihre Identität fest, hierfür können Fotos gemacht und Fingerabdrücke genommen werden 12). Jetzt ist Sta’in Kraefft gefragt: Sie beantragt bei der Ermittlungs(Haft)richter*in einen Haftbefehl, und zwar schnell. Denn jede*r Verdächtige ist unverzüglich, spätestens am Tage nach der Festnahme, der Richter*in vorzuführen, die über die Verhängung von Untersuchungshaft entscheidet (‚verhaftet‘)13).
Der Blick in die kriminelle Seele
Die W-Fragen – Wer, Was, Wie – sind beantwortet. Jetzt geht es um das Warum. Der*die Tatverdächtige ist auf eine Geisteskrankheit zu untersuchen, seine*ihre Schuldfähigkeit (nicht: Zurechnungsfähigkeit) zu beurteilen. Denn die Schuld entscheidet, ob die Täter*in zu Freiheitsstrafe (nicht Gefängnis) verurteilt oder bei Schuldunfähigkeit in einer psychiatrischen Klinik untergebracht wird. Der*die Mordverdächtige (noch ist die Person nach der Unschuldsvermutung ‚nur‘ verdächtig, wenn auch ‚dringend‘) wird zur Beobachtung und zur Vorbereitung eines Gutachtens über den psychischen Zustand in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht. Sta’in Kraefft beantragt die Unterbringung bei Gericht 14), das die Anordnung nach nochmaliger Prüfung trifft (oder auch ablehnt, wenn es nicht vom dringenden Tatverdacht überzeugt ist). Der*die Mordverdächtige wird dort körperlich und geistig untersucht. Hierfür sind neurologische und psychische Testungen vorzunehmen, medizinische Probleme (Schlaganfälle, Kopfverletzungen, Medikamente) aufzuspüren, Blut- und spezielle Untersuchungen (EEG), Kernspin- oder Computertomographie des Gehirns durchzuführen 15). Diese Zwangsmaßnahmen sind Eingriffe in die persönliche Freiheit (Art. 2 Grundgesetz). Da sich kein*e Beschuldigte*r selbst belasten muss (‚nemo-tenetur-Grundsatz‘) ist die Mitwirkung freiwillig – Der*die Beschuldigte muss dulden, nicht handeln. Die Person muss sich Blut entnehmen lassen, ggfs. eine Magensonde oder eine Gehirnuntersuchung erdulden.
Nach Durchführung dieser körperlichen Untersuchungen ist die forensische Psychiater*in dran. Er bzw. sie führt verschiedene Tests (Persönlichkeits-Fragebögen, Intelligenztests etc.) durch. Nach deren Auswertung beginnt die Befragung. Die forensische Psychiater*in nimmt – anders als die klinisch arbeitenden Kolleg*innen, die einer erkrankten Patient*in helfen möchten – die Persönlichkeit des*der Verdächtigen auseinander, um die Tatmotive offenzulegen. Kriminelle lügen, um sich der Strafe zu entziehen. Das ist nachvollziehbar, aber nur das Schweigen ist durch das Selbstbelastungsverbot gedeckt, nicht das Lügen. Die Aufgabe der Analytiker*in besteht vor allem darin, Unwahrheiten und Täuschungen zu erkennen. Ein*e intelligente*r Verdächtige*r übertreibt, stapelt tief oder erfindet sogar die eigene Vita, sexuelle Orientierung, Gefühle neu, spielt bestimmte Symptome einer Geistesstörung nach oder übertreibt tatsächlich vorhandene körperliche oder geistige Defekte, in der Absicht, sich der Strafe zu entziehen oder zumindest für schuldunfähig erklärt zu werden. Ein*e erfahrene forensische Psychiater*in erkennt Täuschungsmanöver, sucht nach Anzeichen für Nervosität wie schwitzen, Händezittern, fehlender Augenkontakt etc., beobachtet die Körpersprache wie Sitzhaltung oder Bewegung. Er oder sie hat Erfahrung mit dem Einfluss von Alkohol oder Drogen, Erschöpfung nach langer Jagd oder als Reaktion auf polizeiliche Taktiken, die zu eingeschränktem Urteilsvermögen, falschen Erinnerungen und Lügen, aber auch zu falschen Geständnissen führen können.
Der Killer, die Killerin ist überführt
Stai’in Hanna Kraefft entscheidet jetzt anhand der Rot-Akte mit dem Schlussbericht der Kripo nebst psychiatrischem Gutachten, ob die geballte Mühe von Kripo, Spurensicherung, Kriminaltechnik, Forensik sie überzeugen, den gesuchten Killer, die Killerin gefasst zu haben. Dann wird sie die Person anklagen und vor die Strafkammer (Schwurgerichtskammer beim Landgericht) bringen. Ihre Prüfung kann aber auch dazu führen, dass sie noch nicht überzeugt ist, dass der ihr von der Kripo präsentierte Mensch wirklich die gesuchte Täter*in ist, oder dass sie Fragen zur Einschätzung der forensischen Psychiater*in hat oder diese bei Unsicherheit durch ein weiteres Gutachten bestätigen lassen möchte oder dass sie weitere Zeug*innen aus dem Umfeld der Täter*in oder der Opfer hören möchte.
In dieser objektiven Prüfung liegt der entscheidende Unterschied zur Arbeit ihrer amerikanischen Kollegin, die einseitig Beweise und Indizien sucht, die für die Anklage sprechen, und immer überlegt, mit welchen Argumenten sie die Jury überzeugen und die Gegenseite (Angeklagte*r, Verteidiger*in) überlisten und zu Fall bringen kann. Die deutsche Staatsanwältin ist bei ihrer objektiven Prüfung ausschließlich ans Gesetz gebunden. Soweit sie als Beamtin ihrer Behördenleitung und dem Justizministerium untersteht (die z.B. Interesse daran haben könnten, der Öffentlichkeit die Täter*in zu präsentieren), braucht sie Anordnungen, die sie für gesetzwidrig hält, nicht zu befolgen. Zweifelt sie an Täter*innenschaft oder Schuld, kann man sie nicht zwingen, Anklage zu erheben. Vielleicht entzieht man ihr dann das Verfahren und beauftragt jemand anderen. Das kommt aber sehr selten vor.
Noch seltener, eigentlich unwahrscheinlich ist ein anderes, im fiktionalen Krimi beliebtes Szenario: Staatsanwältin Kraefft erkennt geschockt, dass es sich um ihren früheren Liebhaber handelt, oder um den Verbrecher, dem sie einmal selbst fast zum Opfer gefallen wäre oder sogar gefallen ist (Situation in ‚Cupido‘ von Jilliane Hoffmann16)). Dann geht Hanna Kraefft, nachdem der Schock sich gelegt hat, zu ihrer, ihrem Vorgesetzten, damit er oder sie ihr den Fall wegnimmt und jemand anderen beauftragt. Sie führt keinen privaten Rachefeldzug als Anklägerin durch, dann wäre sie evtl. strafbar wegen Verfolgung Unschuldiger 17), wäre jedenfalls aber kein anzuerkennendes Mitglied der objektivsten Behörde der Welt mehr.
Zurück zum üblichen Szenario: Geschafft! Die Anklageschrift ist bei der Schwurgerichtskammer 18). Das Gericht übersendet jetzt dem*der Angeschuldigten und dem Verteidiger die Anklageschrift zur Stellungnahme. Bei Mord liegt immer ein Fall notwendiger Verteidigung vor, so dass dem*der Angeschuldigten, wenn er oder sie keine Verteidiger*in hat, ein*e Pflichtverteidiger*in bestellt werden muss 19). Haben der*die Angeschuldigte und die Verteidiger*in Stellung genommen (freiwillig), prüft die Schwurgerichtskammer unabhängig und nochmals, ob hinreichender Tatverdacht besteht, dass tatsächlich der bzw. die gesuchte Serienkiller*in angeklagt ist. Teilt die Kammer die Ansicht von Sta’in Kraefft, wird ihre Anklage zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet 20). In dieser Vorgehensweise liegt ein gravierender Unterschied zum amerikanischen Strafprozess. Die amerikanische Richter*in gibt den Parteien von Anklage und Verteidigung eine Menge Spielraum, welche Beweise sie der Jury präsentieren und welche Informationen die Sachverständigen mitteilen dürfen.
Und Sta’in Hanna Kraefft wartet jetzt auf den Termin der Hauptverhandlung, dann wird sie ihre Anklage vor der Schwurgerichtskammer vertreten.