Was bisher geschah: Die (fiktive) Inhaberin des Pralinchen-Cafés ist eine private Ermittlerin. Frühmorgens stolperte sie über eine Leiche in ihrem Caféhaus. Die Spuren sind genommen, der Tote ist in der Rechtsmedizin und die Caféhaus-Inhaberin erholt sich vom überfallartigen Eindringen des polizeilichen „Erstangriffs“ beim Backen ihrer Mandel-Biscotti, die sie an ein italienisches Lokal verkauft.
Die Leiche soll identifiziert werden
„Fuck!“, stöhnt die Hauptkommissarin. Unbekannter Toter. Wo soll sie nach einem Mordmotiv suchen? Können die nicht freundlicherweise Ausweis und Handy dabeihaben? Nicht mal bei der Kampagne des BKA „Identify Me“ kann die genervte Kommissarin mit ihrem Toten teilnehmen – da geht‘s um weibliche Leichen. Neidisch schaut sie auf ihren Zimmerkollegen, der gerade einen Mordfall mit einem geständigen Täter abschließt. Wenn sie nicht bald die Identifizierung schafft, hat sie ‘nen offenen Fall für die Jahresend-Statistik. Bei nur fünf Morden im Jahr – 20 % ihres Pensums nicht abgeschlossen. „Fuck, fuck!“
Derweil hackt die Caféhaus-Betreiberin mit ihrem Zwei-Klingen-Wiegemesser Mandeln für ihre Biscotti alla mandorla. Und grübelt. Sie hat den toten Mann früher schon mal gesehn. Biscotti, denkt sie, dolci italiani – da war doch was?
Der Tote in der Rechtsmedizin
Die Leiche wird untersucht, Größe, Gewicht, Alter, Geschlecht, Haut- und Augenfarbe, Narben, Tattoos, Gebiss. Proben von Haaren und Fingernägeln für die DNA-Untersuchung werden genommen, außerdem Abstriche aus Mund, Darm, Geschlechtsorganen.
Große Emotionen gibt‘s nicht in der Rechtsmedizin bei hunderten Obduktionen im Jahr. Manchmal ist ein Staatsanwalt anwesend, manchmal die Kommissarin, aber sie ist immer noch verärgert, weil sie ihren Toten nicht identifizieren kann. Manchmal sind Studenten der Medizin oder Rechtswissenschaft dabei, die tapfer schlucken oder sich parfümierte Tücher vor die Nase halten. Dem erfahrenen Obduktions-Team macht es Spaß, über die Leiche gebeugt, genießerisch in ein Eclair zu beißen oder kleine Witze zu machen. Trifft der Oberarzt einen jungen Kollegen. „Na, wie war deine erste Operation?“„Oh ich dachte, das war eine Obduktion.“
Und weiter geht’s: T-Schnitt durch die Haut, Abtrennung von Rippen und Schlüsselbein, Brustplatte abheben, Entnahme von Herz und Lunge, Wiegen, Untersuchung des Bauchraums, Proben des Mageninhalts entnehmen. Dann die Schädelöffnung. Spätestens jetzt ist der letzte Student weg vom Metalltisch in die hinterste Raumecke entwichen. Aber kneifen gilt nicht, er braucht den Seminarschein. Der Assistent entfernt jetzt die Haare mitsamt der Kopfhaut, sägt den Schädel auf. Der Rechtsmediziner schaut sich das Gehirn an, entnimmt dann Proben für die Untersuchung unterm Mikroskop.
Das erste Ergebnis: Keine Vorerkrankungen, zwei Löcher in Brust und Bauch, zwei Schusskanäle, Verletzung der Aorta, inneres Verbluten.
Das Gebiss wird untersucht
„Zahnfüllungen 1-3 und 2-7“, stellt der vor einem Monitor sitzende forensische Odontologe fest. „Dritter Molar fehlt.“
„Gib nicht so an. Was bedeuten die Zahlen nochmal?“ Eine Forensikerin gibt die Ergebnisse der technischen Untersuchungen ein.
„Die erste Ziffer steht fürs Quadrant, die zweite für die Position des Zahns, vom Schneidezahn aus. Drei ist der Caninus …“
„Mann, die Kommissarin hat keine Dentalausbildung!“
„Also 1-3 Füllung Eckzahn Oberkiefer rechts, 2-7 Füllung zweiter Backenzahn, Unterkiefer rechts.“
„Is‘ der Typ in ‘ner zahnmedizinischen Datenbank?“
„Schon mal was von Datenschutz gehört?“
Die Kommissarin ruft bei der Rechtsmedizin an, die gerade den Schädel aufgesägt hat. „Ist das Gesicht okay? Ich brauch ‘ne ordentliche Aufnahme.“ Der Rechtsmediziner erklärt ihr grinsend, dass das im Augenblick nicht so opportun ist. Die Kommissarin hat jetzt keinen Nerv für schwarzen Humor und ruft den Tatort-Fotografen an. Fahndungsfotos in allen Medien verteilen, vielleicht rettet das ihren Mordfall. Wer hat diesen Mann gekannt? Die braune Warze neben dem Mund ist ein Identifikationsmerkmal. Der Fotograf vergrößert sie und macht sie dunkler.
Im forensischen Labor gleicht ein Techniker derweil die Fingerabdrücke des Toten mittels elektronischem LiveScan mit den Millionen Fingerabdrücken in der Datenbank ab.
Nichts!
Die Inhaberin des Pralinchen-Cafés hat eine Idee
Sie lässt die gehackten Mandeln für ihre Biscotti alla mandorla stehn und grübelt, wo sie den Toten schon mal gesehn hat. Also: Die Leiche wurde in ihr Caféhaus geschleift, weil sie die Hintertür zum Laubengelände nicht abgeschlossen hat. Sie versucht es mit einem psychologischen Trick: Wenn man in einem Raum etwas suchen will und vergessen hat, was man suchen wollte, soll man den Raum verlassen und dann wieder hineingehen. Warum sollte das mit dem Toten in ihrem Café nicht auch klappen? Mein Toter, mein Mordfall!
Die Caféhaus-Inhaberin verlässt grinsend den Ladenraum, geht bei ihrer ängstlichen Nachbarin Pia und dem in seiner Laube dauerwohnenden 90-jährigen Olaf vorbei und versucht, die von Leichenfund und Polizei-Eindringen verschreckten Freunde zu beruhigen. Dann sammelt sie sich und tritt wieder durch die Hintertür ein.
Dolci italiani – ja, ich hab‘s!
Als sie ihre letzte Biscotti-Produktion beim Italiener abgeliefert hat, da hat sie den Mann mit der auffälligen braunen Warze gesehen. Der war kein Gast. Mit ernstem Gesicht und einer Aktentasche unterm Arm ist er mit dem Chef ins Hinterzimmer gegangen.
Die Inhaberin des Pralinchen-Cafés nickt ein paarmal und ist sehr zufrieden mit sich. Mal sehn, ob sie bei der Identifikation des Toten schneller war als die Polizei.
„Er hat Mandelkekse gegessen“, teilt die Forensikerin aus ihrem Labor mit.
© Susanne Rüster